Empfehlungspapier der MDM User Group
Autoren: Mitglieder der MDM User Group
Federführung: Dr. Thorsten Miltner
Datum: 15.02.2017
Herausgeber: MDM User Group
Version: 1.1
Echtzeit – Was ist das?
Definitionsgemäß charakterisiert Echtzeit (engl. real-time) den Betrieb informationstechnischer Systeme, die bestimmte Ergebnisse zuverlässig innerhalb einer vorbestimmten Zeitspanne, zum Beispiel in einem festen Zeitraster, liefern können.
Die Definition der inzwischen durch DIN ISO/IEC 2382 abgelösten Norm DIN 44300 (Informationsverarbeitung), Teil 9 (Verarbeitungsabläufe) lautete: „Unter Echtzeit versteht man den Betrieb eines Rechensystems, bei dem Programme zur Verarbeitung anfallender Daten ständig betriebsbereit sind, derart, dass die Verarbeitungsergebnisse innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne verfügbar sind. Die Daten können je nach Anwendungsfall nach einer zufälligen Verteilung oder zu vorherbestimmten Zeitpunkten anfallen“. Durch die Hardware und Software muss sichergestellt werden, dass keine Verzögerungen auftreten, welche die Einhaltung dieser Bedingungen verhindern könnten. Die Verarbeitung der Daten muss dabei nicht besonders schnell erfolgen, sie muss nur garantiert schnell genug für die jeweilige Anwendung erfolgen .[1].
Echtzeitdaten in anderen Bereichen
Im Bereich des ÖPNV hat der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen Papiere mit dem Titel „Ist-Daten-Schnittstelle“ erarbeitet. Diese werden in den VDV-Schriften VDV 453 „Integrationsschnittstelle Rechnergestützter Betriebsleitsysteme“ und VDV 454 „Fahrplanauskunft“ den VDV-Mitgliedsunternehmen zur Verfügung gestellt. [2] Die Daten müssen in vielen Fällen minutengenau vorliegen.
TMC-Verkehrsmeldungen über RDS werden mit etwa 60 bit/s übertragen, was etwa 10 Meldungen pro Minute entspricht. Für eine Information der Verkehrsteilnehmer über aktuelle Verkehrsstörungen reicht dies im Allgemeinen aus. Sollen jedoch Informationen über einen Unfall in unmittelbarer Nähe zum eigenen Standort übertragen werden, stößt diese Übertragungstechnik an seine Grenzen. [3]
Für kurzfristigen Austausch von Daten existieren erste standardisierte Nachrichtentypen, wie z.B. SPaT, CAM, DENM, die über den Kurzstreckenfunk ETSI ITS G5 [1] ausgetauscht werden können. Bei entsprechender Ausrüstung von Fahrzeugen und verkehrstechnischer Infrastruktur können damit Daten „live“ ausgetauscht werden, ohne nennenswerte Latenzzeit. Damit ist die Warnung vor einem Unfall in unmittelbarer Nähe zum eigenen Standort möglich. [4]
Auch über Mobilfunk können Daten innerhalb kurzer Zeit, also „live“ ausgetauscht werden. Da Mobilfunk neben dem kabelgebundenen Telekommunikationsnetz ein Trägermedium für das Internet ist, können darüber Daten mit kurzen Latenzzeiten transportiert werden.
Die Beispiele machen deutlich, dass die Geschwindigkeit des Datenaustauschs nur wenig durch das Datenträgermedium beeinflusst wird. Sowohl über Rundfunk (RDS-TMC), als auch W-LAN (ITS G5) oder Mobilfunk (4G/LTE, 5G) können Daten „live“ transportiert werden. Die Datenmengen sind allerdings technisch begrenzt (s.o. bei RDS-TMC: max. 10 Meldungen pro Minute).
Weniger das Trägermedium beeinflusst also die Geschwindigkeiten als vielmehr die technischen Dienste mit den angeschlossenen Datenbanken, die die Daten verarbeiten und den Datentransport organisieren. Einen solchen Datendienst stellt auch der MDM mit seiner Broker-Funktion zur Verfügung.
Echtzeitdaten über den MDM?
Man kann die Frage stellen, ob der MDM für Echtzeitdaten geeignet ist. Nach der vorhergehenden Definition kann davon ausgegangen werden, dass diese Frage bejaht werden kann. Den Erläuterungen in [1] kann nämlich entnommen werden, dass selbst einige Stunden alte Daten von Wettersatelliten als real-time-Daten bezeichnet werden. Auch im Bereich des ÖPNV werden Daten für die Dynamische Fahrgastinformation bei einer Verarbeitungsdauer im Minutenbereich als Echtzeitdaten bezeichnet.
Häufige Datenarten, die über den MDM angeboten werden, sind die aktuellen Kraftstoffpreise der Markttransparenzstelle oder die aktuelle Auslastung von kommunalen Parkhäusern. Beide Daten werden in Minuten oder 5-Minuten-Abständen aktualisiert. Damit kann von Echtzeitdaten (für diese Anwendungsfälle) gesprochen werden.
Der MDM sieht über das push-Verfahren einen Datenversand mit einer Periode von minimal 1 Minute vor. Die Latenzzeit zwischen Datenannahme und Datenabgabe am MDM wird mit im Mittel 0,4 s angegeben. Dabei sind die Laufzeiten, die durch das Internet verursacht werden, nicht enthalten. Es kommt also im Wesentlichen auf die Performance auf der Datenbereitsteller- und der Datennehmerseite an, mit welcher Latenzzeit die Echtzeitdaten übermittelt werden können.
Der MDM bietet eine Option, dass bei push-Informationen geprüft wird, ob diese den Adressaten erreichen. Im Negativfall wird eine Fehlermeldung übermittelt. Damit kann sichergestellt werden, dass wichtigen Daten auf dem Transportweg nicht verloren gehen. Der MDM ist daher grundsätzlich für die Übertragung von sicherheitsrelevanten Daten geeignet. Nicht geeignet ist der MDM jedoch, für den Fall, dass die sicherheitsrelevanten Daten in Echtzeit (live), wie beispielsweise Information zu einem Unfall oder einem Ereignis in unmittelbarer Nähe des Standorts bzw. auf der Fahrstrecke eines Fahrzeugs, zur Verfügung stehen sollen.
Welche Echtzeitdaten werden bereits über den MDM angeboten?
Wie bereits weiter oben angeführt wird der MDM bereits für den Austausch von Echtzeitdaten genutzt. Neben den Kraftstoffpreisen der Markttransparenzstelle sind dies u.a.:
- Messstellen- bzw. Detektordaten
- Verkehrsmeldungen
- dynamische Parkdaten
- LSA-Schaltzeitprognose
- Verkehrsmanagementmaßnahmen
- Übermittlung von mittleren Reisezeiten oder dem LOS (Level of Service) auf Streckenabschnitten (z.B. auf der Basis von FCD).
Für einige der genannten Datenarten gibt es jeweils DATEX II Profile [6]. An weiteren DATEX II Profilen wird gearbeitet. Damit können die Daten in einer standardisierten Form ausgetauscht werden.
Anforderungen der Daten an die Echtzeitfähigkeit
In Abhängigkeit von dem Dateninhalt können unterschiedliche Anforderungen an die Echtzeitfähigkeit gestellt werden. Die Übertragung der Anzahl von freien Stellplätzen ist im Minutentakt völlig ausreichend. Auch die aktuelle Abfahrtszeit an einer ÖPNV-Haltestelle wird mit einer Genauigkeit von 1 Minute angezeigt. Die Anforderungen solcher Daten bzw. Anwendungen an die Übertragungsgeschwindigkeit sind also eher gering.
Soll das Signalbild eines Signalgebers einer Lichtsignalanlage übertragen werden, ist grundsätzlich die Übertragung mit 1Hz und daher einer Latenzzeit von 1s erforderlich, es sei denn man kann die Signalbilder so sicher voraussagen, dass die Signalbilder eines gesamten Signalprogrammumlaufs (in der Regel zwischen 60s und 120s) im Block übertragen werden können (vgl. dazu die Untersuchungsergebnisse im Projekt UR:BAN [7]). Bei verkehrsabhängig gesteuerten Lichtsignalanlagen ist eine solche Vorhersage bisher noch wenig zuverlässig.
Der weiter oben angeführte Fall eines Fahrzeugs, das über einen Unfall in unmittelbarer Nähe informiert werden soll, erfordert eine sehr große Übertragungsgeschwindigkeit von idealerweise weniger als 1 Sekunde.
Welche Erfahrungen bzgl. des Austauschs von Echtzeitdaten über den MDM gibt es?
In einigen deutschen Städten, wie z.B. Frankfurt am Main, Düsseldorf oder Kassel werden Verkehrsmeldungen, dynamische Parkdaten und Messstellen- bzw. Detektordaten seit einigen Jahren über den MDM angeboten und von Datennehmern weiterverarbeitet.
Für die Datenpublikationen der Stadt Kassel sind z.B. folgende Aktualisierungsintervalle vorgesehen:
- Messstellen- bzw. Detektordaten 1 Minute
- Verkehrsmeldungen bei Aktualisierung
- dynamische Parkdaten 5 Minuten
- LSA-Schaltzeitprognose 1 Minute
Die Übertragung von LSA-Schaltzeitprognosen über den MDM wurde im vom BMWi geförderten Forschungsprojekt UR:BAN [7] in den Städten Düsseldorf und Kassel implementiert und getestet.
Fazit + Ausblick
Ein Austausch von Echtzeitdaten gem. der anfangs gegebenen Definition ist über den MDM möglich. Für Anwendungsfälle, in denen ein Datenaustausch im 1-Minutentakt ausreicht, ist der MDM ein geeigneter Datenbroker. Für Daten, die mit einer deutlich höheren Frequenz übertragen werden sollen, ist der MDM derzeit nicht ausgelegt. Sollte es entsprechende Anforderungen in ausreichender Anzahl geben, wäre sicherlich eine Erweiterung um solche Funktionalitäten wünschenswert.
Interessant dürfte daher sein, welche weiteren Anwendungsfälle sich für den Datenaustausch von Echtzeitdaten über den MDM ergeben könnten:
- Verfeinerte Routenempfehlungen für ausgewählte Kollektive Übertragung von gebietsbezogenen Verkehrseinschränkungen
- die Verfügbarkeit von Infrastrukturen (z.B. Brücken, Tunnel, Fähren)
- ÖV-Anforderung an LSA (als Austausch zwischen Zentrale des ÖV-Betreibers und städtischer Verkehrsmanagementzentrale)
- Lkw-Pulk Management (Anfrage eines Serviceproviders an die Verkehrsmanagementzentrale um LSA so zu schalten, dass Lkw in einem Pulk ohne Halt über mehrere LSA fahren können)
- Anforderung der Freigabezeit an LSA durch Einsatzfahrzeuge über Verkehrsmanagementzentralen
- Anzeigeinhalte von Verkehrsinformationstafeln
- Bereitstellung virtueller Verkehrszeichen
Referenzen
[1] „wikipedia.org/wiki/Echtzeit,“ [Online]. [Zugriff am 12 05 2016].
[2] VDV, VDV-Schriften 453 05/13 – Ist-Daten-Schnittstelle, Version 2.3.2, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), 2013.
[3] „de.wikipedia.org/wiki/Traffic_Message_Channel,“ [Online]. [Zugriff am 24 01 2017].
[4] ETSI EN 302 663 V1.2.1 (2013-07); European Standard; „Intelligent Transport Systems (ITS); Access layer specification for Intelligent Transport Systems operating in the 5 GHz frequency band“.
[5] „de.wikipedia.org/wiki/IEEE_802.11p,“ [Online]. [Zugriff am 24 01 2017].
[6] „www.mdm-portal.de/service/hilfe/datex-ii-profile.html,“ [Online]. [Zugriff am 16 05 2016].
[7] UR:BAN, Leitfaden für die Einrichtung kooperativer Systeme auf öffentlicher Seite, 2015; urban-online.org/de/urban.html[Zugriff am 16.05.2016]
[8] I. S. IEEE 802.11p™-2010, I. S. f. I. technology, T. a. i. e. b. systems und L. a. m. a. networks, “Specific requirements Part 11: Wireless LAN Medium Access Control (MAC) and Physical Layer (PHY) Specifications Amendment 6: Wireless Access in Vehicular Environments”.
Anhang A: Motivation und Vorstellung der MDM User Group
Die MDM User Group ist eine Vereinigung mit dem Ziel, den Mobilitäts-Daten Marktplatz in Kooperation mit der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) bekannter zu machen und dessen Weiterentwicklung zu fördern. Dabei sollen sowohl die Aspekte der Länder und Kommunen sowie der Wissenschaft und Privatwirtschaft Berücksichtigung finden.
Die Mitglieder der MDM User Group setzen sich aus Vertretern der öffentlichen Verwaltung, der Wissenschaft und der Privatwirtschaft zusammen. Zur Erreichung dieser Ziele werden unterschiedliche Aktivitäten durchgeführt. Dazu gehören regelmäßige Treffen, Teilnahme an Veranstaltungen, Erarbeitung von Stellungnahmen und Empfehlungen sowie die Unterstützung neuer und bestehender Anwender.
Im Rahmen ihrer Aktivitäten hat die MDM User Group Themenbereiche identifiziert, die für eine erfolgreiche Entwicklung des MDM Relevanz besitzen. Diese Themenbereiche werden kontinuierlich bearbeitet und in Form von Empfehlungen dokumentiert, die jeweils die gemeinsame Position der MDM User Group wiederspiegelt.
Anhang B: Der MDM
Der MDM: Mobilitäts Daten Marktplatz ist Teil der Innovationsinitiative der Bundesregierung und eine Maßnahme im Handlungsfeld 1: Optimale Nutzung von Straßen-, Verkehrs- und Reisedaten des „IVS-Aktionsplan Straße“. Er wird von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) betrieben. Eigentümer des MDM ist das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI).
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[1] Der europäische Standard ETSI ITS G5 ist ähnlich aber nicht gleich dem amerikanischen Standard mit der Bezeichnung IEEE 802.11p [8] über den inhaltlich gleiche Nachrichten ausgetauscht werden können.
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Für eine direkte Kontaktaufnahme wenden Sie sich bitte an:
MDM User Group
usergroup@mdm-portal.de
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